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Schmerzmedizin – das solltest Du wissen!

Wer als Mediziner:in praktisch tätig ist, begegnet Menschen mit Schmerzen – das ist quasi in jeder Fachrichtung unumgänglich. Der häufigste Grund, ärztliche Hilfe zu suchen, sind nun mal Schmerzen, ob akut oder chronisch. In Deutschland leiden allein 23 Millionen Menschen an chronischen Schmerzen.

Der Pschyrembel definiert Schmerz als „komplexe Sinneswahrnehmung unterschiedlicher Qualität, die i. d. R. durch Störung des Wohlbefindens als lebenswichtiges Symptom von Bedeutung ist u. in chronischer Form einen eigenständigen Krankheitswert erlangt“. Klingt ein bisschen schwammig formuliert? Ist es auch.

Inhaltsverzeichnis:

Ziel der Schmerzmedizin

Die Neurobiologie des Schmerzes ist komplex und bis heute nicht vollständig verstanden. Jede Standardisierung von Schmerzen ist letztlich nur ein Versuch, Schmerzempfindungen und -intensitäten normiert zu erfassen, zu messen oder zu klassifizieren. Menschen erleben Schmerzen auf unterschiedliche Weise, und individuelle Faktoren wie genetische Veranlagung, psychologische Aspekte, soziale Umstände und persönliche Geschichte spielen eine Rolle bei der Entstehung und dem Management von Schmerzen. Diese individuellen Unterschiede und die Vielfalt potenzieller Schmerzursachen zusammen mit der entsprechend breiten Palette unterschiedlicher Behandlungsansätze machen die Schmerzmedizin so herausfordernd.

Aufgrund der Komplexität von Schmerzen erfordert die Behandlung oft einen multimodalen Ansatz, der verschiedene Therapieformen kombiniert, darunter Medikamente, physikalische Therapie, psychologische Unterstützung und in einigen Fällen interventionelle Verfahren. Deshalb ist die Schmerzmedizin per se interdisziplinär und erfordert oft die Zusammenarbeit von Ärztinnen und Ärzten verschiedener Fachrichtungen, auch der Psychologie und Physiotherapie, und andere Gesundheitsdienstleister:innen.

Das Ziel der Schmerzmedizin ist es, die Lebensqualität von Menschen zu verbessern, die unter Schmerzen leiden, und gleichzeitig die Ursachen des Schmerzes zu verstehen und zu behandeln.

Verschiedene Schmerzregionen - Schmerzmedizin Jungmediziner.de

Die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. und die Deutsche Schmerzgesellschaft e. V. treten für die Förderung der Schmerzforschung und die Verbesserung der schmerztherapeutischen Versorgung in Deutschland, vor allem durch die fachlich fundierte schmerztherapeutische Aus-, Fort- und Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten ein.

Ansätze zur Schmerzbehandlung

In der Schmerzmedizin werden verschiedene Ansätze zur Schmerzbehandlung verwendet, darunter Medikamente, physikalische Therapie, interventionelle Verfahren, Psychologie und Psychotherapie. Die Auswahl der geeigneten Behandlung hängt von der Art des Schmerzes, seiner Ursache und der individuellen Situation der betroffenen Person ab. Schmerzmediziner:innen arbeiten oft im Team mit anderen Fachärztinnen und -ärzten zusammen, um eine umfassende Betreuung zu gewährleisten. Speziell chronische Schmerzen erfordern häufig einen ganzheitlichen Ansatz, der sowohl körperliche als auch psychologische Aspekte berücksichtigt.

Es ist wichtig zu betonen, dass Schmerzmedizin nicht nur darauf abzielt, Schmerzen zu unterdrücken, sondern auch darauf, die Lebensqualität der betroffenen Menschen zu verbessern und ihre Funktionsfähigkeit zu erhalten oder wiederherzustellen.

Schmerzmedizinische Behandlungsansätze im Kurzüberblick

Dies sind einige der gängigsten Behandlungsansätze aus der Schmerzmedizin:

  1. Medikamentöse Therapie
    • Analgetika (Schmerzmittel): Dazu gehören nichtsteroidale entzündungshemmende Medikamente (NSAIDs) wie Ibuprofen, Paracetamol und Opioide für moderaten bis schweren Schmerz.
    • Antidepressiva und Antikonvulsiva: Diese Medikamente können bei neuropathischen Schmerzen helfen.
    • Muskelrelaxantien: Zur Behandlung von Schmerzen, die auf Muskelverspannungen zurückzuführen sind.
    • Entzündungshemmende Medikamente: Zur Reduzierung von Entzündungen, die Schmerzen verursachen können.
  2. Physikalische Therapie
    • Physiotherapie: Um die Muskelkraft und -flexibilität zu verbessern und die Beweglichkeit zu fördern.
    • Massagen und manuelle Therapie: Zur Lockerung von Verspannungen und zur Verbesserung der Durchblutung.
  3. Interventionelle Verfahren
    • Injektionen: Lokale Injektionen von Steroiden oder Lokalanästhetika zur Linderung von Entzündungen und Schmerzen.
    • Nervenblockaden: Um Schmerzsignale von bestimmten Nerven zu blockieren.
  4. Psychologische Ansätze
    • Verhaltenstherapie: Um den Umgang mit Schmerzen zu verbessern und negative Verhaltensmuster zu ändern.
    • Biofeedback und Entspannungstechniken: Zur Reduzierung von Stress und Muskelverspannungen.
  5. Akupunktur und alternative Therapien
    • Akupunktur: Eine traditionelle chinesische Methode, bei der Nadeln an bestimmten Punkten des Körpers platziert werden, um den Energiefluss zu regulieren und Schmerzen zu lindern.
    • Chiropraktik: Eine Technik, die sich auf die Ausrichtung der Wirbelsäule konzentriert.
  6. Medizinisches Cannabis: Seit 2017 kann in Deutschland jede Fachärztin / jeder Facharzt (außer Zahnärztinnen und -ärzte) medizinisches Cannabis in verschiedenen Darreichungsformen zu Lasten der GKV zur Schmerzkontrolle, insbesondere bei chronischen Schmerzen, verschreiben.
  7. Aufklärung und Selbstmanagement: Patientinnen und Patienten werden geschult, um ein besseres Verständnis für ihre Schmerzen zu entwickeln und Selbstmanagement-Techniken zu erlernen.
IMST, also die Interdisziplinäre Multimodale Schmerztherapie, ist der Goldstandard in der Behandlung von chronisch Schmerzkranken.

10 interessante Fakten zur Schmerzmedizin

Die frühesten Zeugnisse der Behandlung von Schmerzen datieren aus der Zeit 4.000 v. Chr.; es handelt sich um Rezepturen und Beschwörungsformeln für die Behandlung von Kopfschmerzen. Auch die Verwendung von Opium als Schmerzmittel ist aus dieser Zeit dokumentiert. Der schmerzmedizinische Nutzen von Cannabis taucht in hinduistischen Texten aus der Zeit 2.000 v. Chr. auf, soll Überlieferungen zufolge aber schon um 5.000 v. Chr. in China bekannt gewesen sein. In der Antike (800 v. Chr. bis ca. 600 n. Chr.) waren Schwarzes Bilsenkraut, die Gemeine Alraune und Weidenrinde (Vorläufer von „Aspirin“) neben Opium die bekanntesten Mittel für die Schmerzbehandlung.

Seitdem hat sich einiges getan. Ein paar besonders spannende Neuigkeiten unserer Zeit, haben wir im Folgenden für Euch zusammengestellt.

1. 3,4 Millionen gute Gründe für die Zusatz-Weiterbildung „Spezielle Schmerztherapie“

Aktuell versorgen gut 1.200 ambulant tätige Schmerzmediziner rund 3,4 Mio. schwerstgradig Schmerzkranke. Nötig wären mindestens 10.000 Schmerzmediziner“, so die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V. (DGS).

2. Jetzt zum größten deutschsprachigen Schmerzkongress anmelden

In der Basisversorgung sind Rückenschmerzen der erste Beratungsanlass. Die Indikation belastet sowohl Betroffene als auch die Volkswirtschaft“, heißt es in der Ankündigung des Deutschen Schmerz- und Palliativtags 2024 online. Der findet deshalb vom 12. bis 16. März 2024 unter dem Motto „Rückenschmerz: gestern – heute – morgen“ statt. Neben diesem Schwerpunkt wird es aber auch um weitere schmerzassoziierte Indikationen und Begleiterkrankungen gehen, beispielsweise Migräne und Depression. Wie im vorigen Jahr ergänzen auch englischsprachige Vorträge und eine virtuelle Poster-Plattform den Online-Kongress. Hier geht’s zur Anmeldung.

3. Virtual Reality gegen chronische Schmerzen

Nachdem das Bundesministerium für Bildung und Forschung 30 Projekte mit dem Ideenpreis für Soziale Innovationen ausgezeichnet hatte, erhielten zehn davon mit einer Förderung von 200.000 Euro die Chance, ihre Konzepte in die Erprobungsphase zu bringen. Ende 2023 startete dann für vier Teams die Praxisphase mit einer finanziellen Förderung von jeweils 250.000 Euro sowie zusätzlichen Unterstützungsangeboten. Darunter ist auch ReliefVR, ein „medizinisches Produkt, das durch die Modifizierung der relevanten neuronalen Netzwerke (Neuromatrix) im Gehirn chronische Schmerzen nachhaltig beseitigt. Chronische Schmerzen im Rücken, stumpfes Trauma, Fibromyalgie, Phantomschmerzen, CRPS und Brandwunden sind hierbei nur einige Beschwerden, die nach der erfolgreichen Validierungsstudie“ zum Behandlungsspektrum gehören könnten.

Die Idee stammt von Yevgenyia Nedilko: „Die Patienten sollen zunächst das Gefühl haben, einen virtuellen Körper oder Avatar zu besitzen, der sich an der gleichen Position wie ihr echter Körper befindet.“ Indem sich die Sichtweise so verändert, dass eine außerkörperliche Erfahrung entsteht, soll in der modifizierten Körperwahrnehmung das Schmerzempfinden reduziert und der schmerzfreie Bewegungsgrad erhöht werden – Basis für das weitere Training.

4. Schmerzen nicht ernst genommen?

41 % der 18- bis 34-Jährigen in Deutschland leben ohne ärztliche Diagnose mit chronischen Schmerzen. Vor allem Zeitmangel wurde als Grund für den ausbleibenden Praxisbesuch genannt; 44 % greifen zur Selbstmedikation zu frei erhältlichen Schmerzmitteln. So das Ergebnis einer aktuellen Umfrage unter 1.000 Menschen von Boston Scientific.

Aber Zeitmangel ist nicht der einzige Grund, auf ärztliche Hilfe zu verzichten. Vor allem Studienteilnehmerinnen (38 %) machen bereits im familiären Umfeld, auch in der Partnerschaft, die Erfahrung, sich in Bezug auf ihre chronischen Schmerzen nicht wahrgenommen oder verstanden zu fühlen. 28 % der befragten Frauen befürchten, auch von ihrer/m Ärztin / Arzt nicht ernstgenommen zu werden.

5. 2/3/10-Regel in der Migräne-Therapie

70–90 % der Erwachsenen und immer mehr Kinder und Jugendliche kennen Kopfschmerzen, die einen ab und an, die anderen häufig. Täglich sind mehr als 900.000 Deutsche von Migräne betroffen. Die frisch aktualisierte Praxisleitlinie „Primäre Kopfschmerzerkrankungen 3.0“ bietet einen Kurzüberblick der differenzialtherapeutischen Vielfalt möglicher Behandlungsoptionen und unterstützt die Umsetzung individueller Therapiekonzepte in der praktischen Patientenversorgung. Um dem Risiko für einen kritischen Medikamentengebrauch vorzubeugen, empfiehlt sich bei Migräne-Therapie übrigens die 2/3/10-Regel: Medikamente maximal 2-mal am selben Tag für maximal 3 Tage am Stück und für maximal 10 Tage im Monat.

6. Cannabis gegen Schmerzen: Studien-Überblick

Häufig wird in Bezug auf Cannabis-Medizin gegen schmerzen bemängelt, es lägen zu wenig Studien vor. Duncan et al. zeigen nun, dass sich tatsächlich schon einiges auf diesem Gebiet getan hat: Unter dem Titel „Cannabinoids and endocannabinoids as therapeutics for nervous system disorders: preclinical models and clinical studies“* bieten die Autoren eine Übersicht, in der nicht nur zelluläre In-vitro-, Ex-vivo-Gewebe- und In-vivo-Tiermodellstudien zu Cannabinoiden und deren Nutzen als Therapeutika bei verschiedenen ZNS-Pathologien erörtert werden, sondern die auch einen Überblick über die Verwendung von Cannabinoiden in klinischen Studien am Menschen für eine Vielzahl von ZNS-Erkrankungen umfasst.

*Duncan, R. Scott; Riordan, Sean M.; Gernon, Matthew C.; Koulen, Peter. Cannabinoids and endocannabinoids as therapeutics for nervous system disorders: preclinical models and clinical studies. Neural Regeneration Research 19(4):p 788-799, April 2024. | DOI: 10.4103/1673-5374.382220

7. Umfrage zu Cannabis: Bis zu 100 Euro Aufwandsentschädigung!

Derzeit läuft eine großangelegte Marktstudie zum Thema Medizinalcannabis: Im Rahmen des Cansearch-Projekts wurde eine Interview-Reihe mit mehr als 300 Ärztinnen und Ärzten sowie Apothekerinnen und Apothekern gestartet, um Pain Points und Schwierigkeiten, aber vor allem auch Chancen im Umgang mit medizinischem Cannabis im deutschen Gesundheitswesen herauszuarbeiten.

Auch Jungmediziner:innen sind herzlich zur Teilnahme eingeladen – eigene Erfahrungen mit Cannabis-Therapien werden nicht vorausgesetzt. Wer an der Umfrage teilnimmt, kann bis zu 100 Euro Honorar für ca.1 h Zeitaufwand erhalten. Einfach bei Alex Choo melden: per What’s App an 01517 / 57 57 509 oder per Mail an alexander.choo@mediorbis.io und das Stichwort Jungmediziner übermitteln.

8. Sterbehilfe weiterhin nicht gesetzlich geregelt

Laut einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach wurde fast ein Drittel der Ärzteschaft in seiner beruflichen Tätigkeit schon einmal mit der Bitte um Sterbehilfe konfrontiert. Meist handelt es sich um schwerwiegend und unheilbar Erkrankte, die an starken Schmerzen und / oder einer erheblichen Einschränkung ihrer Lebensqualität leiden und eine begrenzte Lebenserwartung haben. Das Bundesverfassungsgericht entschied schon 2020, dass das Verbot einer geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung verfassungswidrig ist. Denn das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasse auch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Im Sommer 2023 standen schließlich zwei Gesetzesentwürfe für die „Reform der Sterbehilfe“ im Bundestag zur Diskussion. Doch beide Entwürfe zur Neuregelung scheiterten. Eine große Mehrheit der Abgeordneten stimmte aber für eine Stärkung der Suizidprävention.

9. Erster Lehrstuhl für Schmerzmedizin

Im November 2023 hat Prof. Dr. med. Heike Rittner den Lehrstuhl für Schmerzmedizin an der Medizinischen Fakultät des Universitätsklinikums Würzburg (UKW) übernommen. Es ist der erste und bislang einzige Lehrstuhl dieser Art in Deutschland.

Prof. Rittner ist Fachärztin für Anästhesiologie und Schmerztherapie sowie Wissenschaftliche Koordinatorin der Klinischen Forschungsgruppe „ResolvePAIN“, welche die Mechanismen der Schmerzauflösung untersucht. Ihr wissenschaftlicher Tätigkeitsschwerpunkt liegt in der molekularen und translationalen Schmerzforschung.

10. Hast Du diesen Beitrag am Handy gelesen?

Falls ja, dann stehst Du jetzt am besten mal kurz auf und machst ein paar Lockerungsübungen für die Schultern und den Nacken. Denn während das Gewicht, das der Nacken bei aufrechter Haltung tragen muss, schon 5 kg beträgt, sind es bei einer Kopfneigung von 60 % – was gar nicht untypisch ist – stolze 27 kg.

Wer möchte schon einen Geierhals oder Witwenbuckel? Tu was gegen den Handy-Nacken.

Das kann vor allem in Kombination mit fehlender Bewegung zu Verspannungen, Kopfschmerzen und Rückenschmerzen bis hinunter in den Lendenwirbelbereich führen. Also, los geht’s: Bewegung tut gut!

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