Mein Weg in den Busch - Famulatur in Tansania

Mein Weg in den Busch – Famulatur in Tansania

Ich habe mir viele Gedanken um eine Famulatur in einem anderen Land gemacht. Die Chance, allein eine fremde Kultur zu erleben und ein ausländisches Gesundheitssystem kennenzulernen, wollte ich unbedingt wahrnehmen. Anfangs wusste ich noch nicht, dass es Tansania werden sollte, aber die positiven Berichte meiner Freunde und meiner Familie, die zum Teil schon für lange Zeit in Tansania lebten, machten mich sehr neugierig. Also entschied ich mich für eine Famulatur in Tansania.

Motivation

Meine Tante lebte über 20 Jahre in Tansania, ihre Tochter ist dort geboren und aufgewachsen und kam im Schulalter zusammen mit meiner Tante (zurück) nach Deutschland. Viele ihrer spannenden Geschichten über dieses faszinierende Land begleiteten mich seit meiner Kindheit. Für mich war klar: Irgendwann musst du es selbst erleben. Nur Wann? Als Medizinstudent hat man das unglaubliche Privileg, überall auf der Welt hospitieren zu dürfen. Die meisten Länder dieser Welt machen es einem nicht schwer, einen Platz in einem Krankenhaus zu finden, um dort im Klinikalltag mit anpacken zu dürfen. Die meisten Kliniken sind über jede helfende Hand dankbar. Diese Option wollte ich mir nicht entgehen lassen.

Meine Bewerbung für die Famulatur in Tansania

Meine Bewerbung richtete sich an ein Krankenhaus in Peramiho, eine kleine Stadt in der Songea-Region. Im Südwesten des Landes. Die Bewerbung bestand aus einem kurzen Anschreiben an den Klinikleiter, Dr. Mushi. Den Kontakt stellte meine Tante her. Die Zusage erhielt ich prompt. Jetzt fehlte mir nur noch eine Unterkunft.

Oft sind die Krankenhäuser in Tansania gleich an ein Guest House angebunden. Dies liegt unter anderem auch daran, dass viele Kliniken von ausländischen Organisationen gegründet oder unterstützt werden und somit Möglichkeiten für Besuche durch die Geldgeber:innen und Entwicklungshelfer:innen geschaffen werden. Ich bekam die Zusage für ein Zimmer eines solchen Guest Houses. Wie üblich für Einrichtungen in Tansania fand ich im Internet kaum Informationen, da weder Klinik noch Guest House einen Internetauftritt hatten und auch Google Maps kaum genutzt und entsprechend auch nicht gepflegt wird. Ich fand ein Bild der Unterkunft, welches wirklich ganz schön aussah und bekam den Kontakt zur Haushälterin: Joyce.

Meine ersten Schritte in Tansania

Direkt nach meiner letzten Klausur setzte ich mich in den Flieger und war bereit für mein Abenteuer. Ich war aufgeregt und freute mich auf meine erste große Reise. Zuvor habe ich nur einmal Europa verlassen, für einen Kurztrip nach New York zusammen mit meinem Bruder. Aber was sind schon 7 Tage Shopping in New York gegen 40 Tage afrikanischer Busch? Ich war also auch ein bisschen nervös. So dachte ich an die wilden Tiere, Giraffen, Löwen und Elefanten, aber auch an riesige Spinnen und Schlangen. Ich dachte an die gastfreundlichen und lebensfrohen Menschen. An das Leben der Bevölkerung, am Existenzminimum – ohne Strom und ohne Wasser. An Häuser aus Lehm und Stroh, Wellblechdächer und eine atemberaubende Vegetation.

In Dar es Salaam angekommen, war mir ein bisschen mulmig. Weit und breit war kein hellhäutiger Mensch zu sehen. Ich nahm mein Gepäck vom Band und tauschte mein erstes Bargeld in die tansanische Währung. Da der größte Schein gerade einmal 4 Euro beträgt, kommt schnell eine Menge an Bargeld zusammen. Was mich nicht gerade beruhigte; im Hinterkopf hatte ich die vielen Warnungen über die hohe Rate an Kriminalität. Ich nahm mir Zeit am Flughafen, mich an alles zu gewöhnen. So setzte ich mich auf einen der Metallsitze neben einen kleinen Shop innerhalb des Flughafens, verband mich mit dem WLAN und sammelte mich. Ich rief meine Freundin an und schrieb meiner Familie. Sie halfen mir bei der Suche nach einer Unterkunft und einer tansanischen Sim-Karte. Währenddessen wurde ich von bewaffneten Guards angesprochen und beobachtet. Sie sind für die Sicherheit zuständig und ich kam ihnen wohl suspekt vor.

Die Straßen Tansanias

Meine erste Fahrt durch Tansania begann mit dem Driver des Guest Houses für die erste Nacht. Es war bereits dunkel, er besorgte mit mir zusammen eine Vodacom Sim-Karte und lud mein Gepäck in seinen Jeep. Wir fuhren hupend quer über eine viel befahrene Kreuzung und verließen nach gerade einmal 500 Metern den Asphalt, um auf braun-rotem Sand die Fahrt fortzusetzen. Es war chaotisch. Und wunderschön. Überall Menschen. Manche führten Rinder über die Schienen, manche kochten am Straßenrand über offenem Feuer. Manche transportierten auf ihren Köpfen Kilos an Papayas und Bananen. Ich fühlte mich noch nie so fremd. Und gleichzeitig kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die Häuser waren aus Lehm, manche aus Stein. Sie hatten weder Fenster noch Türen. Motorräder schwirrten wie Fliegen um die Autos herum. Es gab keine Straßenbeleuchtung, nur die Lichter der Autos und die Feuerstellen erhellten die mittlerweile stockdunklen Straßen.

Reisen in Tansania

Am nächsten Tag flog ich früh weitere 1000 km nach Songea. Ich entschied mich für das Flugzeug anstelle des Busses. Auch auf Anraten Dr. Mushis.

Reisen bedeutet in Tansania Abenteuer. Selbst einfache Busfahrten sind immer ein Erlebnis. Fliegen ist dahingegen die bequemste Art. Aber ich war auch spät dran, da mein Flug von Deutschland aufgrund eines Sandsturmes in Dubai verlegt wurde. Und ich reiste allein, wovor deutschen Touristen immer auf langen Strecken gewarnt wurde, da niemand das Gepäck im Auge behalten kann. Zudem sind Busfahrten auch nicht ungefährlich, da die Straßenverhältnisse nicht mit europäischen Standards zu vergleichen sind.

In Songea angekommen, begrüßte mich der Fahrer der Klinik, welcher mich sicher nach Peramiho bringen sollte. In Tansania geht alles über Beziehungen und Bekanntschaften. Jeder kennt irgendjemanden, der einem helfen kann. Eine funktionierende Infrastruktur, wie wir sie aus Deutschland gewohnt sind, gibt es nicht. Wenn man reisen möchte, muss man sehr genau planen. Und trotzdem darauf vorbereitet sein, dass es anders kommen wird. Und wenn man allein unterwegs ist, sollte man immer ein paar Kontakte haben, von Leuten, die in schwierigen Situationen helfen können.

Der erste Tag im Krankenhaus

Mein erster Tag im Krankenhaus begann morgens um 7 Uhr. Es fiel mir viel leichter, mich an die frühen Zeiten zu gewöhnen als in Deutschland, da die Sonne in Tansania bereits um 6 Uhr aufgeht und man sich dem Rhythmus der Sonne automatisch fügt. Dr. Mushi begrüßte mich sehr herzlich. Er nahm sich eine halbe Stunde Zeit, sich mit mir zu unterhalten und zeigte mir dann die Klinik. Ich entschied mich, als Erstes die Pädiatrie zu besuchen. Da sie in Peramiho besonders gut sein soll und landesweit Anerkennung findet. Ich erhoffe mir einen einfachen Start durch die Arbeit mit Kindern, da mir das auch in Deutschland am meisten Spaß macht.

Die Pädiatrie

Das Team ist nett. Ich lerne Jida kennen, sie ist eine der wenigen Fachärzte des Hauses. Dies ist eine Rarität für das Land, wie sich herausstellt. Es ist in Tansania nicht üblich, sich zu spezialisieren. Jida nimmt mich sofort gut auf. Sie ist nett, freundlich und kompetent. Sie zeigt mir die verschiedenen Krankheitsbilder der Kinderstation. Man muss sich das so vorstellen: 20 Betten in einem Raum. Jedes Bett besitzt ein Mosquito-Netz und einen kleinen Nachttisch. An den kahlen Wänden hängt ein Mickey Mouse Poster. Es gibt keine Decken oder Kopfkissen. Alles, was man sieht, hatte die besten Zeiten bereits hinter sich. Die Metall-Betten und Nachttische sind verrostet. Die Matratzen sind bis auf die Sprungfedern zerrissen. Die Waschbecken kaputt.

Jida trägt ein Stethoskop um ihren Hals. Dort ist eine kleine Flasche Desinfektionsmittel befestigt. Ihre Kleidung ist gepflegt. Sie trägt ein Kopftuch und ihre Schuhe sind farblich zu diesem angepasst. Sie zeigt mir die Kinder in den sogenannten Children Wards. Dies sind die Betten-Stationen der Kinder. Ich sehe in jedem Bett ein Kind mit seiner Mutter liegen. Die meisten Kinder sind hier aufgrund von Infektionskrankheiten. Jida erklärt mir, dass die häufigsten Ursachen für eine stationäre Aufnahme Harnwegsinfekte sind. Danach kommen Atemwegserkrankungen, Durchfälle und Malaria. Fast alles Krankheiten, die durch mehr Hygienemaßnahmen einzudämmen wären. Eine Maske trägt hier niemand.

Menschen in Tansania

Tansania zu erleben bedeutet, Menschen kennenzulernen, die zu den ärmsten Menschen dieser Welt gehören. Die wenigsten Menschen haben hier einen richtigen Job. Die meisten halten sich mit Geschäften über Wasser, zum Beispiel dem Verkauf von Obst oder Gemüse aus eigenem Anbau. Weniger als einen Euro pro Tag besitzen die meisten Menschen. Entsprechend sind die Verhältnisse in diesem Land. Höhere Standards könnten sich die Menschen nicht leisten. Wo man hinschaut, gibt es, wenn überhaupt, das Nötigste. Alles darüber hinaus wäre nicht bezahlbar. Und das gilt auch für das Gesundheitssystem. Denn eine funktionierende Krankenversicherung gibt es nicht. Wer nicht zahlen kann, wird nicht behandelt. Also müssen die Kosten so niedrig gehalten werden, wie möglich.

Die Neonatal-Station

Vergleichsweise modern war meine Zeit in der Neonatal-Station. Hier gab es eine Art Intensiv-Station für Neugeborene, eine Betten-Station für Neugeborene. Einen Känguru-Raum und ein Zimmer für Neugeborene, dessen Geburt extern stattgefunden hat, – oftmals zu Hause – und die Kinder dabei oder daraufhin schwer erkrankt sind. Hier trugen alle Mütter Masken und krankenhauseigene Kittel über ihrer Kleidung. Sie mussten Schuhe anziehen, die unseren OP-Schuhen in Deutschland ähneln und sie durften die Station nicht betreten, wenn sie sich nicht vorher Hände und Brüste gewaschen haben. Dr. Clemens, der leitende Arzt der Neonatal-Station verriet mir, dass diese Maßnahmen ein großer Schritt im Kampf gegen die hohen Sepsis-Raten seien und man einen Rückgang schwerer Infektionen seit Einführung beobachten konnte.

Der OP-Saal

Ich sah viele Krankheitsbilder, die man in Deutschland nicht findet. Einen ausgeprägten Meningismus zum Beispiel. Auch sah ich einen starken Opisthotonus bei einem an Tetanus erkrankten Jugendlichen, der vermutlich nie geimpft worden ist. Bei diesem Krankheitsbild ist der Rücken so stark durchgestreckt, dass er sich krümmt. Die Schmerzen sind kaum vorstellbar. An einem Tag habe ich mir die Operationssäle angeschaut. Sie heißen in Tansania major und minor theatre. Nach britischem Vorbild und noch aus einer Zeit stammend, in der der OP eine Art Manege war – mit dem Chirurgen im Zentrum und den Zuschauern rundherum. Mein Tag im OP war einer der Spannendsten. Der Raum sah wild und unsauber aus. Draußen standen die Menschen Schlange. Innen operierten die Nurses. Also Pfleger, die eine Spezialausbildung häufig im Rahmen der Entwicklungshilfe bekommen haben. Und ich sollte assistieren.

Es wurden Kinder beschnitten, Gipsverbände gewechselt und die Brandwunden darunter gesäubert, ich habe eine Hand geöffnet, um Abszesse zu entfernen. Ich assistierte bei einer Orchiektomie, also der Entfernung beider Hoden, weil ein Mann sich mit Filarien (Würmern) infizierte. Diese Erkrankung gehör zu den am meisten vernachlässigten tropischen Krankheiten der Welt und kann beim Mann dazu führen, dass er wie in diesem Fall, beide Hoden verliert. Auch diese Operation fand nicht unter Vollnarkose statt. Der Mann konnte praktisch zusehen, wie wir ihn kastrierten.

Hohe Verantwortung und Einbindung in den Krankenhausalltag

In Tansania ist es üblich, dass man sehr schnell über seine Kompetenzen hinaus eingebunden wird. Trotz meiner jahrelangen Ausbildung bin ich in Deutschland bisher kaum als vollwertiges Teammitglied wahrgenommen worden. Hier in Tansania aber ist man sehr schnell ein ernst zu nehmender Kollege. Das birgt viele Risiken für den:die Patienten:in, also sollte man hier zurückhaltend sein. Auch wenn die Erfahrungen wertvoll sein können für die eigene Ausbildung, ist es nach tansanischem Recht verboten, als ausländische:r Student:in an Menschen zu üben. So sollen die Tansanier:innen vor unqualifizierten Eingriffen geschützt werden. Man bekommt in Tansania sehr schnell die Möglichkeit, große Verantwortung zu übernehmen. Die eigene Meinung wird geschätzt und oft sogar über die eigene gestellt. Ich wurde in etlichen Dokumentationen als Dr. Marvin verewigt.

Übrigens ist Tansania ein Land der Stämme und Großfamilien. Im Krankenhaus bekochen sich die Patienten:innen selbst oder werden von ihren Familien bekocht, die häufig zusammen mit den Patiente:innen anreisen, da die Wege zum Krankenhaus meist sehr weit sind und die Patienten:innen sie entweder nicht allein bestreiten können oder sich im Krankenhaus nicht selbst versorgen könnten. Krankenwagen kann sich keiner leisten. Das Krankenhaus verbietet es Angehörigen im Krankenhaus zu schlafen, trotzdem sieht man überall auf den Gängen und im Freien die Menschen auf bunten Decken auf dem Boden liegen. Um das Krankenhaus herum sieht man ein buntes Treiben. Ständig reisen Busse an mit neuen Familien an. Es wird auf der offenen Straße gekocht und gesungen. Manche verkaufen hier ihre Ware, wie zum Beispiel Erdnüsse, eingerollt in Zeitungspapier für ein paar Cent. Familien unterstützen sich hier in großem Umfang gegenseitig. Aus eigener Tasche könnte sich auch kaum jemand die medizinische Behandlung leisten.

Marvin in Tansania

Leben in Tansania

Esssen konnte ich im Guest House, es stand immer was auf dem Tisch. Das Essen war nicht schlecht, aber es gab wenig Variation. Reis mit Bohnen, etwas Fleisch und ein Spinat-ähnliches Gemüse waren die Standards. Häufig habe ich daher auf Mittagessen verzichtet und habe mich von Weißbrot mit Marmelade ernährt, welches immer zur Verfügung stand. Oder habe mir Chipsi-Mayay gekauft, ein Gericht aus Bratkartoffeln mit Ei, etwas Kraut und Ketchup. Superlecker.

Auf meiner Reise durch Tansania habe ich noch zwei weitere Krankenhäuser, fünf große Städte, den Nyassa-See und zwei Nationalparks besucht. Ich habe viele Menschen getroffen, darunter andere Reisende, aber auch Tansanier:innen, die mir spannende Geschichten erzählt haben. Außerdem habe ich deutsche Medizinstudierende kennengelernt, bin mit ihnen gereist und habe einen Teil meiner eigenen Familie kennengelernt. Mehr dazu im zweiten Teil.

Euer Marvin,
Medizinstudent an der Universität Würzburg und jungmediziner.de Campus Captain

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