Pflegedienstleitung - wie wichtig ist die Zusammenarbeit zwischen Pflege und Mediziner:innen

Interview mit einer Pflegedienstleitung

Eine gute Zusammenarbeit mit der Pflege und deren Leitung ist für jeden:jede Mediziner:in unerlässlich. Um dies besser zu verstehen, haben wir ein Interview mit einer Pflegedienstleiterin geführt.

Linda Göttel – Pflegedienstleitung

Wer sind Sie?

Linda Göttel, 51 Jahre, seit 33 Jahren im Krankenhaus in der Pflege tätig. Seit 21 Jahren Pflegedienstleitung und seit 10 Jahren als Pflegedienstleitung Mitglied der Klinikleitung sowie einer der drei geschäftsführenden Vorstände des Trägervereins der Friedrich-Husemann-Klink in Buchenbach bei Freiburg.

Wie sieht Ihr beruflicher Werdegang aus?

1992 absolvierte ich das Krankenpflegeexamen in Tuttlingen und war dort bis 1999 als Krankenschwester und später als Stationsleitung tätig. Von 1999 – 2001 besuchte ich die Weiterbildung zur Pflegedienstleitung in Stuttgart mit dem praktischen Einsatz im Krankenhaus Rottweil. Als stv. Pflegedienstleitung begann ich 2001 meine übergeordnete Führungstätigkeit in den Kliniken Landkreis Biberach. 2008 wechselte ich an das Krankenhaushaus 14 Nothelfer in Weingarten. Seit 2012 bin ich nun in der Friedrich-Husemann-Klinik.

Friedrich-Husemann-Klinik
Friedrich-Husemann-Klinik

Wie sieht Ihr typischer Arbeitsalltag als Pflegedienstleitung aus? Mit welchen Herausforderungen haben Sie es täglich zu tun?

Meine Aufgaben als Pflegedienstleitung beinhaltet drei Schwerpunkte – die personelle, organisatorische und fachliche Verantwortung für den Pflegedienst der Klinik. 

Personelle Verantwortung bedeutet von der Auswahl, Einstellung, Entwicklung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses begleite ich die Pflegenden und in der Pflege tätige Mitarbeitenden in ihren personellen Angelegenheiten und unterstütze sie individuell. Übergeordnet bin ich für den Personaleinsatz verantwortlich und passe diesen den Gegebenheiten an.

Meine organisatorische Verantwortung fängt bei der Sicherstellung des tätlichen Klinikbetriebes an und beinhaltet auch alle dazu notwendigen Supportes (Hygiene, etc.). Immer mehr Bedeutung gewinnt die multiprofessionelle Zusammenarbeit. Darüber hinaus sind alle Change Management-Prozesse für den Pflegedienst bei mir angesiedelt.

Die fachliche Begleitung und Entwicklung der Mitarbeitenden und deren Aufgaben und Verantwortungen sowie die des Klinikbetriebes nimmt einen Schwerpunkt meiner Verantwortung ein. Dafür stehen mir Kolleg:innen zur Seite, die sich spezielle um die Pflegefachlichkeit und -sicherheit in der Patientenversorgung auf den Stationen und der grundlegenden Weiter/-entwicklung der Pflege inklusive der Fortbildungen kümmern.

Klinikspezifisch ist mir das Qualitätsmanagement unterstellt.

Welche Behandlungsangebote gibt es in der Friedrich-Husemann-Klinik? An welche Patient:innen richten sich diese Angebote?

Wir sind ein Fachkrankenhaus für Psychiatrie mit der Ergänzung der Anthroposophischen Medizin, Pflege und Therapie. Wir behandeln alle psychiatrischen Erkrankungen und sind für die Regionale Versorgung der Region Hochschwarzwald einschließlich des Dreisamtals vor den Türen Freiburgs zuständig. 

Was war Ihr persönliches Highlight als Pflegefachkraft in Ihrer über 30-jährigen beruflichen Erfahrung?

Das größte Projekt schloss ich (zusammen mit den Kolleg:innen) vor 2 Jahren ab – unseren Neubau. Neben den baulichen Herausforderungen und Entwicklungen waren hier auch neue Konzepte für die Patientenversorgungen als Grundlage notwendig. Beispielsweise überdachten wir bisherige Strukturen in der Raumnutzung und -ausstattung. Speziell der geschützte Bereich unserer Klinik erhielt eine neue Struktur, die vorbereitend für die Regionale Versorgung auch notwendig war.

Warum sollten mehr Personen Karriere in der Pflege machen? Warum ist es ein interessantes Berufsbild?

In der Krankenpflege ist jeder Tag anders. Die Arbeit mit den Patient:innen ist sehr erfüllend und sinnhaft. Die Arbeit ist vielfältig, abwechslungsreich und verantwortungsvoll. Das Tun der Pflegenden wirkt direkt am Menschen, sei es bei der Unterstützung, bei den täglichen Bedürfnissen oder als Anteil zur Heilung.

Die Unterstützung und Betreuung der Menschen im Krankenhaus, Pflegeheim oder ambulanten Diensten bildet ein ganzheitliches Arbeiten – sprich von Anfang bis zum Ende der Behandlung, vom Lebensanfang bis zum Tod und an 365 Tagen und 24 Stunden werden die anvertrauten Menschen von den Pflegenden individuell und persönlich in einer professionellen Beziehung begleitet und unterstützt. Pflege beinhaltet neben der pflegerisch/medizinischen Fachlichkeit vor allem auch viele soziale Aspekte und verlangt Organisationsgeschick. Pflegende sind im Wesentlichen an der Behandlung von Menschen beteiligt und Sie unterstützen oder übernehmen für die Patient:innen die Durchführung der täglichen Lebensaktivitäten. Viele Aufgaben sind präventiv, um zusätzlichen Schaden abzuwenden.

Es gibt sehr viele verschiedene Einsatzbereiche, die Pflegenden eine hohe Wahlfreiheit für Ihre Arbeitsumgebung bietet, sie können unterschiedliche Fachbereiche kennenlernen und sich spezialisieren und weiterqualifizieren. Pflegende können sich jederzeit fort- und weiterbilden und/oder auch weiterführend studieren. Pflegende sind stets gefordert und werden gefördert.

Der „tägliche“ Dank für ihr Tun ist gewiss und Pflegende haben einen hohen Stellenwert und eine umfangreiche Bedeutung für die Gesellschaft.

Die Expertise von Pflegenden kann auch im privaten Leben hilfreich sein.

Wie haben Sie die Zusammenarbeit zwischen der Pflege und der Medizin in Ihrem Haus organisiert? Warum haben Sie sich so organisiert? Was läuft besonders gut? In welchen Bereichen haben Sie noch Optimierungspotenzial?

Auf der Station arbeiten Pflegende und Ärzt:innen in einem multiprofessionellen Team zusammen – der Austausch über die Patienten und deren Behandlungsziele und -erfolge sind dabei ein Schwerpunkt. Dies findet in täglichen Übergaben und Besprechungen statt und ebenso in wöchentlichen Terminen, auch zusammen mit den Therapeuten und dem Sozialdienst. Auch organisatorische und personelle Themen werden in Teambesprechungen miteinander geklärt. 1x im Monat findet eine multiprofessionelle Fall-Supervision statt.

Auf übergeordneter Ebene finden regelmäßige Konferenzen der pflegerischen und ärztlichen Leitungen statt, um den Rahmen von Veränderungs- und Verbesserungsmaßnahmen zu besprechen und festzulegen. Dies betrifft auch alle organisatorischen Gremien wie z. B. Hygiene, Arbeitsschutz und Co.

Geschäftsführer, ärztliche Leitung und ich als Pflegedienstleitung bilden die gleichberechtigte Klinikleitung und auch den Vorstand des Trägervereins unserer Klinik.

Auf jeder Ebene kann sich jede Berufsgruppe gleichermaßen einbringen, ihre Sichtweise vertreten und leistet ihren Beitrag zum täglichen Gelingen der Behandlung der Patient:innen und zur Sicherstellung des Klinikbetriebes.

Wir arbeiten derzeit intensiv daran, dass die Wertschätzung der Fachlichkeit aller Berufsgruppen gleichermaßen ihren „zugesprochenen“ Stellenwert bekommen. Wenn wir gegenseitig akzeptieren und anerkennen, dass jede Berufsgruppe einen Teil zur Behandlung beiträgt, kann das Ganzes gelingen.

Warum ist es wichtig, dass es ein harmonisches Zusammenspiel zwischen dem pflegenden- und medizinischen Fachpersonal gibt? Welche Vorteile ergeben sich hieraus für den:die Patient:in?

Es geht nur zusammen. Kein:e Patient:in erhält im Krankenhaus nur von einer Berufsgruppe Leistungen. Es geht weder ohne Ärzt:innen noch ohne Pflegende. Ein:e Arzt:in kann keine Behandlung beginnen, ohne dass die weitere Versorgung durch die Pflegende sichergestellt ist und die Pflegenden sind auf die ärztlichen Vorgaben im medizinischen Bereich angewiesen.

Wenn Ärzt:innen und Pflegende (und weitere Beteiligte) ein gemeinsames abgesprochenes Behandlungsziel verfolgen, ihren Aufgaben und Verantwortungen Hand in Hand nachgehen, jede:r in seiner:ihrer Funktion als gleich wichtig anerkannt ist, kann eine sichere und erfolgreiche Behandlung gelingen und die Zufriedenheit der Patient:innen sichern. Und somit auch das „Überleben“ der Klinik bewahren.

Wie hat sich “die Pflege” in den letzten Jahren entwickelt? Wie wird “die Pflege” in der Gesellschaft und von dem ärztlichen wahrgenommen? Gab es während Corona oder seit Corona eine andere Wahrnehmung?

Pflege hat sich in den letzten 20 Jahren stark professionalisiert. Es gibt wissenschaftliche und praktische Studiengänge, die die Fachlichkeit der Pflegende sehr vorangebracht haben. Die Pflege ist vom reinen Erfahrungswissen zu begründetem Wissen (gepaart mit Erfahrungswissen) übergegangen. Pflegende sind selbstbewusster geworden und haben sich aus der „dienende“ Haltung gelöst. Sie wollen sich einbringen und im Rahmen der Behandlung mit Ihren Fähigkeiten „mit reden“. 

Sie sind mehr als nur Assistenz der Ärzte:innen und behaupten sich mit ihrer Profession gegenüber den andern Berufsgruppen, vor allem auch gegenüber den Ärzt:innen. Das kann zu Konflikten vor allem mit tradiert handelnden Ärzt:innen führen und verhindert eine gegenseitige Akzeptanz. 

Moderne Ärzt:innen und vor allem Ober- und Chefärzt:innen haben ein hohes Interesse an ein einer guten gemeinsamen Arbeit, wie oben beschrieben.

Corona hat uns sehr stark gezeigt, wie verletzlich unser System ist. Nur das war es das vorher schon und der berühmte seidene Faden hat noch irgendwie gehalten. Corona und seine Folgen für die Stellensituation hat zu schmerzlichen Verlusten geführt. Wenn immer weniger da sind, können auch die anderen nichts mehr tun. Die Belastung stieg für jeden nochmals an – sei es durch die ganzen Vorschriften und Regelungen, die manchmal auch sehr entzweiend gewirkt haben bis hin zu massiven Personalausfällen, die dann die anderen tragen mussten oder eben zu Leistungseinbrüchen geführt hat. Ich glaube schon, dass die Pandemie den Schulterschluss zwischen Ärzt:innen und Pflegenden gefördert hat, man gemerkt wie abhängig man voneinander ist und dass es ohne den anderen nicht geht.

Die Gesellschaft wertschätzt die Pflege mittlerweile sehr, fast jede:r einzelne Patient:in und seine:ihre Angehörigen sind stets dankbar und sehen den Pflegenotstand. Ich glaube daran, dass das „Klatschen auf den Balkonen“ eine ernste Botschaft von der Bevölkerung war. Nur dann ist nichts passiert. Würde man die Kranken- und Pflegebeiträge jedes einzelnen signifikant erhöhen, damit Pflegende besser bezahlt werden können, wäre wahrscheinlich „das Geschrei“ groß. Auf politischer Ebene ist nichts passiert und das ist das Dilemma!!! Es braucht meiner Meinung nach eine grundsätzliche Reform des deutschen Gesundheitswesens.

Und das größte Corona-Desaster der Politik ist für mich immer noch der Ausspruch, dass Pflegende (und das medizinische Personal im Kleingedruckten) die Pandemie-Treiber gewesen sein sollen … Dies wiederum ist eine ganz eigene Geschichte ;-)

Warum ist es gerade wichtig, dass Jungmediziner:innen schon während des Medizinstudiums verstehen, dass die Zusammenarbeit mit dem pflegenden Fachpersonal extrem wichtig ist?

Ärzt:innen haben als oberstes Ziel, die Behandlung der Patient:innen sicherzustellen. Wenn sie sich vorstellen, welchen Anteil sie an der Gesamt-Behandlung haben und was noch alles geschehen muss, dass der:die Patient:in „geheilt“ werden kann, dann sollte jedem klar sein, dass es ohne ein „Zusammen“ nicht geht. Ein:e Arzt:in kann alleine eine größere Untersuchung oder OP durchführen. Kein:e Patient:in würde alle notwendigen medizinischen Versorgungen bekommen, die ein:e Arzt:in anordnet, wenn Pflegende oder Therapeut:innen diese nicht ausführt. Und es würde auch keinen gesicherten Stations- oder Tagesablauf geben, wenn die Pflegenden dies nicht organisieren würde. 

Die Jungmediziner:innen sollten verstehen, dass jede verordnet „Tablette“ bestellt, organisiert, gerichtet, ausgegeben werden muss. Das kein:e Patient:in was zu essen bekommen würde, wenn es dazu kein System geben würde. Und dass Patient:innen, die sich nicht mehr selbständig versorgen könnten, unter ihrer Obhut verwahrlosen und Zusatzerkrankungen erleiden würden und keine Weiterversorgung nach ihrer Behandlung erhalten könnten, wenn sie nicht auf Augenhöhe mit den Pflegenden und Therapeut:innen arbeiten. Und das alles lernen sie leider in keiner Vorlesung. Es ist so selbstverständlich, wenn sie dann in einer Institution arbeiten, dass sie sich darüber keine Gedanken mehr machen.

Welche drei Tipps haben Sie als Pflegedienstleitung für aktuelle Medizinstudierende?

Medizinstudierende sollten sich darüber informieren, wie das professionelle Berufsbild der Pflegenden gestaltet ist. Welche Aufgaben und Verantwortungen diese als Teil der Behandlung mit- und einbringen und eigenständig durchführen. Sie sollten erkennen, was es bedeutet, auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten.

Außerdem sollten sie sich die Organisation einer Station anschauen und begreifen, was alles dazu gehört, damit „der Laden“ läuft (spätestens, wenn sie eine eigene Praxis aufmachen, müssen sie es lernen) und damit das Verständnis entwickeln, dass sie auch ein Teil der Organisation und von ihr abhängig sind.

Darüber hinaus sollten sie Mensch bleiben und sich als normal, freundlich und zugewandt verhalten und im Team einfügen. Sie sind weder was Besseres, noch stehen sie sozial über anderen. Medizinstudierende haben eine andere Fachlichkeit, die ein Fehlverhalten in der Zusammenarbeit nicht rechtfertigt.

Ich brauche noch ein viertes. Sie sind auch Lernende, wie wir allen und sollen sich eingestehen, dass sie auch Fehler machen/werden, wie jede:r andere:r auch und dass man daraus lernen kann, sich verbessern kann (und sich auch einfach nur dafür entschuldigen darf).

Vielen Dank an Linda Göttel für die Eindrücke, wir wünschen ihr alles Gute für ihren weiteren Lebensweg.

Eure Linda Göttel,
Pflegedienstleiterin und Interviewpartnerin

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