Zweiter Teil meiner Famulatur in Tansania

Im zweiten Teil meines Berichts über meine Famulatur in Tansania möchte ich noch genauer auf die Erfahrungen eingehen, die ich in den Kliniken gemacht habe und außerdem erzähle ich euch von den zahlreichen Abenteuern, die ich in Tansania erleben durfte.

In meinem ersten Teil habe ich über die Eindrücke meiner Ankunft in dieses faszinierende Land geschrieben und meine Bewunderung für die Bevölkerung und den Umgang mit den begrenzten Mitteln geäußert. Ich habe einen Einblick in den medizinischen Alltag eines deutschen Medizinstudierenden in einer Klinik gegebenen, die so weit ab vom Schuss ist, dass man als Hellhäutiger für die meisten Einheimischen eine Art Rarität darstellt.

Arbeitsalltag und der Umgang mit Kolleg:innen

Meine Reise durch Tansania habe ich allein begonnen. Aber ich habe immer wieder Mediziner:innen getroffen, ob Studierende oder Ärzte:Ärztinnen, die ähnlich motiviert waren und einen Teil meiner Reise mit mir gemeinsam bestritten.

Im Laufe meiner Famulatur in Peramiho in Tansania habe ich mich immer wohler in meiner neuen Umgebung gefühlt. Ich habe schnell Freundschaften mit den anderen Ärzten:Ärztinnen und dem Pflegepersonal geschlossen und sie haben mich schnell ins Team integriert. Jida, die Fachärztin in der Pädiatrie, hat sich besonders um mich gekümmert und mir wertvolle Einblicke in die Arbeit mit Kindern gegeben.

Am ersten Arbeitstag nahm Jida mich zur Mittagspause mit in den Pausenraum der Ärzte und Ärztinnen. Sie bot mir warme Milch an und dazu 2 Scheiben Weißbrot. Sie fragte, ob ich Fleisch wolle und reichte mir eine kleine Plastikdose mit 3 Stücken Fleisch. Ich denke, es kam von einem Rind, sicher bin ich mir nicht.

Freundschaften in der Ferne

In meiner Freizeit habe ich die Gelegenheit genutzt, das umliegende Dorf zu erkunden und die lokale Kultur kennenzulernen. Die Menschen waren sehr herzlich und gastfreundlich, und ich habe mich sogar mit einigen Bewohnern angefreundet. Einige der Kontakte bestehen noch heute, fast ein Jahr später.

Haareschneiden in Tansania während meiner Famulatur
Neue Frisur in Tansania

Ich tausche mich ab und an mit Ernest aus. Er ist Assistenzart in der Pädiatrie und wir halten den Kontakt über Instagram. Ernest hat mir zu meiner Zeit in der Klinik Einblicke in seinen Alltag gegeben und mir wertvolles medizinisches Wissen vermittelt. Wir haben zusammen die Visiten gemacht. Er hat mir die Fälle erklärt und meine Fragen dazu beantwortet. Dafür habe ich ihm dafür bei der lästigen Dokumentation geholfen. Heute berichten wir uns gegenseitig immer mal wieder, wie es uns geht und wie es in der Klinik voran geht.

Assistenzärzte in Peramiho und ich während meiner Famulatur in Tansania
Assistenzärzte in Peramiho und ich

Begegnungen mit dem Einheimischen

Aber nicht alle Begegnungen waren schön. Als ich eines Tages in Begleitung die Umgebung erkundete, sind wir auf eine Gruppe junger Menschen gestoßen. Sie saßen bei der knallenden Mittagssonne unter den Mangobäumen auf ihren Motorrädern und sahen uns in der Ferne langsam auf sie zulaufen. In wenigen Sekunden hatten wir die komplette Aufmerksamkeit auf uns gerichtet, sie riefen uns auf Kisuaheli lautstark zu und machten einen aufgeregten Eindruck. Wir liefen weiter in der Hoffnung, dadurch signalisieren zu können, keine Konfrontation zu wollen. Es war nicht abzuschätzen, ob es eine bedrohliche Situation war oder ob die Rufenden einfach nur aufgeregt waren, einen Mzungu zu sehen. Irgendwann waren wir aus der Sichtweite.

Mzungu bedeutet „weißer Mann“ und ist vielseitig einsetzbar. Überall wurde ich als Mzungu bezeichnet. Ich bin mir bis heute nicht sicher, wann es ein wohlwollender Kosename oder eine abfällige Bezeichnung für einen Europäer war. Die wahre Bedeutung liegt, denke ich irgendwo dazwischen und kann auch variieren, meistens ist sie aber nett gemeint. Ich erinnere mich an ein Lied, welches 3 Pflegeschülerinnen für mich gesungen haben, nachdem sie mich an einem Gewürzstand im Dorf sahen. In diesem Moment kaufte ich gerade Zimt aus Zanzibar als sie anfingen, über einen Mzungu zu singen. Sie lachten und tanzten und ich stieg mit ein. Eine skurrile Situation aber sicher nicht böswillig.

Alltag in der Klinik

Während meiner Zeit in der Klinik habe ich mich auch mit den Herausforderungen des tansanischen Gesundheitssystems auseinandergesetzt. Die Ressourcen waren sehr begrenzt und es gab Engpässe bei Medikamenten, Ausrüstung und Fachpersonal. Dennoch haben die Ärzte und Ärztinnen sowie das Pflegepersonal ihr Bestes gegeben, um den Patient:innen zu helfen und die bestmögliche Versorgung zu gewährleisten. Ich habe bewundert, wie sie all diese Schwierigkeiten gemeistert haben und den Patienten die bestmögliche Medizin ermöglichten.

Medizinische Versorgung mit großen Herausforderungen

Diese Schwierigkeiten bestimmen den Alltag der Mediziner:innen. Eines Tages behandelten wir das Neugeborene einer Frau, welche den Massai angehörte. Die Massai sind ein Nomadenvolk mit langer Tradition. Und in dieser leben sie seit Hunderten Jahren fast unverändert weiter. Diese Frau gebar Zwillinge, doch eines ihrer Kinder überlebte die Geburt nicht. Die Mutter war zu schwach und auch die Kinder kamen unterernährt und viel zu früh auf die Welt. Um das Überleben des zweiten Kindes zu sichern, reichte keine ernährungsmedizinische Beratung. Matthew, ein Assistenzarzt, gab der Frau 10.000 Schilling. Mit diesem Geld, welches umgerechnet 4 Euro beträgt, konnte die Frau zumindest für die ersten 1-2 Wochen die notwendige Nahrung kaufen.

Krankenversorgung in Tansania

Es ist einfach, mit dem Finger auf die Leute zu zeigen und zu sagen, wie kann die Mutter nur ihr Kind leiden lassen, anstatt es ärztlich versorgen zu lassen? Wie kann ein Arzt oder eine Ärztin in einem Raum operieren, welcher aussieht wie eine Ruine? Wie können Angehörige ihre hoch ansteckenden Verwandten besuchen, ohne sich adäquat mit Kittel und Faceshield zu schützen? Wie kann die Klinik es verantworten, todkranke Menschen außerhalb der Klinik sterben zu lassen, obwohl ein Krankenwagen zur Verfügung steht? Ich denke, man kann das nur verstehen, wenn man darüber nachdenkt, wie es ist, nicht das Privileg zu haben, in einer hoch entwickelten Gesellschaft leben zu dürfen.

Als ich Matthew fragte, warum er so gut wie jedes Kind antibiotisch behandele, selbst wenn es keine klaren Anzeichen für eine bakterielle Infektion gab, nahm er mich zur Seite. Er erklärte mir geduldig, dass ihm sehr wohl bewusst sei, dass eine Antibiose zu Resistenzen führe und dass das Kind womöglich an einer viralen Infektion leide, bei welcher Antibiotika wirkungslos seien. „Aber“, fragt er er mich, „würdest du das Kind nach Hause schicken, in ein 50 km entferntes Dorf im Busch, obwohl du weißt, dass die Familie kein Geld hat, um erneut in die Klinik zu kommen? Obwohl du weißt, dass sie sich auch weitere Tage in der Klinik nicht leisten könnten, um den Verlauf beobachten zu lassen? Würdest du das Kind nach Hause schicken, obwohl du weißt, dass die geringe Chance besteht, dass es doch bakteriell infiziert ist und daran sterben könnte?“.

Unterstützung bei der Krankenversorgung

Es braucht nun mal Geld, aber auch ein Verständnis für medizinische Zusammenhänge, also Bildung, um richtig handeln zu können. Und was ist überhaupt „richtig“? Das, was wir für das Beste für uns halten, ist nicht automatisch auch das Beste für andere Völker. Wir können uns nicht hinstellen und anderen die Welt erklären, ohne zu verstehen, warum für diese Menschen ein anderer Weg als richtig empfunden wird. Das ist anmaßend, arrogant, dumm und wenig hilfreich. Für diese Erkenntnis bin ich sehr dankbar.

Operationssaal der Klinik von Marvins Famulatur in Tansania
Minor Theater – der Operationssaal in Tn Tansania

Während meiner Famulatur in Tansania habe ich nicht nur medizinische Fähigkeiten entwickelt, sondern auch ein tieferes Verständnis für die sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen, mit denen Tansania konfrontiert ist. Ich habe gesehen, wie die medizinische Versorgung eng mit Faktoren wie Bildung, Armut und Infrastruktur verknüpft ist. Diese Erkenntnisse haben mein Verständnis für die globalen Gesundheitsprobleme erweitert und meine Motivation gestärkt, einen Beitrag zur Verbesserung der Gesundheitssysteme in Entwicklungsländern zu leisten.

Ich kann mir sehr gut vorstellen, auch als Arzt in Tansania oder in Entwicklungsländern generell tätig zu werden. Meine Arbeit dort hat mir gezeigt, wie wichtig Hilfe sein kann und welchen Einfluss bereits ein Einzelner für das Leben von vielen haben kann. Denkbar wäre das Anbieten von kostenloser medizinischer Hilfe oder die Übermittlung von Lehre und Ausbildung. Ich denke, dass strukturelle Hilfen nachhaltig die gesundheitliche Versorgung verbessern können. Finanzielle Hilfen sind ebenfalls wichtig, aber eben nicht so nachhaltig. Sie helfen symptomatisch – nicht aber dabei, die Ursache zu beseitigen.

Besichtigung von weiteren Kliniken in Tansania

Während meines Aufenthaltes in Tansania besuchte ich auch zwei weitere Kliniken. Zum einen das Litembo Diocesan Hospital und zum anderen das IMECC Hospital in Iringa. Das Litembo Hospital ist das Krankenhaus, in welchem meine Tante und auch bereits meine Cousine zusammen mehrere Jahrzehnte arbeiteten. Der Besuch der Klinik in Iringa kam dadurch zustande, dass ich den Leiter der Klinik zufällig in einem Hostel traf. Wir kamen ins Gespräch und er erzählte mir von seiner Klinik. Er bot mir an, ihn dort zu besuchen. Ich freute mich sehr über die Einladung und kam dieser nach. Der Besuch der Kliniken ermöglichte es mir, die medizinischen Bedürfnisse des Landes besser zu verstehen und meine Sicht auf das Gesundheitssystem zu erweitern.

Litembo Hospital Schild
Marvin steht vor dem Schild des Litembo Hospitals

Ich denke auch nach meiner Zeit in Tansania werde ich mich für eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung einsetzen, die für jeden Menschen unabhängig seines Hintergrundes zugänglich sein sollte. Ich bin bereit, mein medizinisches Wissen, meine Fähigkeiten und meine Leidenschaft dafür einzusetzen, einen positiven Einfluss auf die gesundheitliche Versorgung von Menschen zu haben, denen es schlechter geht als uns in Deutschland.

Ausflüge während der Famulatur in Tansania

Neben der Arbeit in den Kliniken habe ich auch das Land erkundet. Ich habe mich mit Medizinstudierenden aus Deutschland getroffen, welche zur selben Zeit auch im Süden des Landes untergebracht waren. Wir erkundeten zusammen die Region rund um den Malawi-See, welcher von den Einheimischen als Njassa-Sea bezeichnet wird. Er ist der neunt größte See der Welt und zu unserer Freude auch teilweise (fast) frei von Bilharziose erregenden Würmern. Eine Erkrankung, die das Gefäßsystem befällt und bis zum Nierenversagen führen kann. Wegen dieser Krankheit ist es tendenziell keine gute Idee, in stehenden Gewässern Afrikas zu baden. Wir taten es trotzdem und machten uns kaum Sorgen. Stattdessen haben wir das warme afrikanische Wasser und den Ausblick auf das wunderschöne Panorama genossen.

Mit der gleichen Gruppe habe ich zwei Wochen später auch eine Safari unternommen. Es war meine erste Safari und ich wusste nicht, was mich erwarten würde. Ich war sehr gespannt, die Big Five in freier Wildbahn zu sehen und hoffte, den Tieren so nah wie nur irgendwie möglich zu kommen. Ich habe mich gefragt, ob wir tatsächlich so viel Glück haben werden, Löwen zu sehen.

Der Muss – eine Safari

Wie ich herausgefunden habe, sind Safaris ein überaus beliebtes Tourismusziel. Bei diesem sehr kostspieligen Erlebnis werden die Touristen oftmals direkt in den Nationalpark mit kleinen Passagiermaschinen geflogen und dort in Lodges untergebracht, in welchen sie dann mehrere Tage übernachten und tagsüber auf Safari gehen. Wir hatten diesen Luxus nicht. Stattdessen haben wir uns mit dem Bus auf den Weg in den Nationalpark Ruaha gemacht. Fast 1,5 h fuhren wir auf einer unbefestigten Straße, die von den vergangenen heftigen Niederschlägen nicht mehr gerade, sondern auf der gesamten Strecke extrem wellig war. Es war nicht möglich, etwas auf dem Handydisplay zu lesen, so unruhig war es im Inneren.

Sidcht auf die wellige Straße
Sicht aus dem Jeep auf die wellige Strasse

Der Park selbst war eine Sensation. Wir hatten viel Glück und konnten an unseren 1,5 Tagen im Park die Big Five bewundern. Wir wurden außerdem Zeuge eines Kampfes zwischen einem Nilpferd und einem Löwen, der in den Büschen herumlungerte und von dem Hippo überrascht wurde. Man sitzt während einer Safari in einem Jeep mit einem Fahrer und einem Guide, der die Natur in- und auswendig kennt und im besten Fall ein Gespür dafür besitzt, wo sich gerade Tiere beobachten ließen.

Als unser Fahrer die Straße verließ und den Wagen auf eine große Ebene führte, nahmen wir alle diesen beißenden Gestank wahr. Vor uns lag ein Giraffenkadaver und wir sahen einige Löwenjunge, die sich an dem Fleisch bedienten. Es herrschte Totenstille im Jeep und wir lauschten den fressenden Tieren. Plötzlich machte der Guide auf ein Rudel Löwen aufmerksam, welches sich in den Büschen befand und vermutlich etwas Schatten aufgesucht hatte. Wir gaben keinen Mucks von uns und beobachteten mit großen Augen dieses brutale, aber völlig normale Naturspektakel.

Aller Abschied ist schwer

Am Ende meiner Famulatur in Tansania war es schwer, Abschied von meinen neuen Freunden und der Klinik zu nehmen. Ich habe viele unvergessliche Erfahrungen gemacht und bin dankbar für die Zeit, die ich in Tansania verbracht habe. Ich habe mich entschieden, weiterhin in Kontakt mit der Klinik zu bleiben. In Zukunft möchte ich gerne an medizinischen Projekten teilnehmen, um die Versorgung der Menschen dort weiterhin zu verbessern.

Meine Famulatur in Tansania war nicht nur ein medizinisches Abenteuer, sondern auch eine persönliche Reise der Selbstentdeckung und des interkulturellen Austauschs. Ich kehre nach Deutschland zurück, erfüllt von neuen Erfahrungen und einem Wunsch, die gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen in meinen zukünftigen medizinischen Werdegang einzubringen. Ich habe festgestellt, dass ich nicht nur das Privileg habe, medizinisches Wissen und Fähigkeiten zu besitzen, sondern auch die Verantwortung, dieses Wissen für das Wohl anderer einzusetzen.

Zurück in Deutschland

Zurück in Deutschland ging mein Studium weiter, aber meine Zeit in Tansania bleibt stets präsent. Ich möchte zusätzliche Schritte unternehmen, das Gesundheitssystem in Entwicklungsländern zu unterstützen. Derzeit recherchiere ich nach Organisationen und Initiativen, die medizinische Hilfe in unterversorgten Gebieten leisten, und hoffe, eine Reihe von Möglichkeiten zu finden, mich zu engagieren.

Tansania hat bei mir eine große Leidenschaft entfacht. Ich habe gelernt, wie es für eine Gesellschaft ist, wenn sie (fast) nichts besitzt. Außerdem habe ich gelernt, was es bedeutet, in einer Gesellschaft zu leben, in der man alles hat, was man sich wünscht. Ich habe mein Bewusstsein dafür geschärft, wie gut es mir geht und wie wenig selbstverständlich alles ist, was ich bisher immer als selbstverständlich wahrgenommen habe. Auch habe ich gelernt, wie sehr es vom Glück abhängt, welche Möglichkeiten man im Leben bekommt und welches Privileg es ist, in einem reichen Land aufwachsen zu dürfen. Und ich habe gelernt, Menschen und ihre Lebenslagen besser verstehen zu können, indem ich versuche, das „warum“ zu ergründen.

Ich habe viel Verständnis für die medizinische Arbeit in Entwicklungsländern entwickelt. Leider waren die 4 Wochen viel zu kurz, und es gibt noch so viel zu erkunden. Ich plane schon einen nächsten Besuch in Tansania. Ich weiß noch nicht, wann ich wieder da sein werde. Auch nicht, ob dies noch im Rahmen meines PJs sein wird. Aber sobald sich die Möglichkeit ergibt, werde ich wieder dorthin reisen. Für mich ist die Arbeit in einem Entwicklungsland aufregend und sehr spannend. Wer überlegt, in Tansania zu famulieren oder zu hospitieren, sollte es unbedingt tun. Keine Angst vor dem Kulturschock – aber freue dich auf Erfahrungen, die dein Denken grundlegend verändern werden.

Die untergehende Sonne in Tansania
Sonnenuntergang in Tansania

Euer Marvin,
Medizinstudent an der Universität Würzburg und jungmediziner.de Campus Captain

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