Ärzte von morgen – was sich Medizinstudent:innen wünschen
Digitalisierung als Lösung für die Bürokratie. Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Flache Hierarchien in Kliniken und Praxen. Das sind nur einige Ergebnisse einer Umfrage der Kassenärztlichen Vereinigung aus dem Jahr 2018. Dabei wurden 12.000 Medizinstudierende nach ihren Vorstellungen und Wünschen den künftigen Arztberuf betreffend befragt. Das Resultat ist eindeutig. Ein Wandel muss kommen, um die künftigen Absolvent:innen zu halten. Doch was sind im Detail die Bedürfnisse und Einstellungen der Medizinstudent:innen von heute? Um das herauszufinden, haben wir unsere drei Campus Captains gefragt. Marvin studiert im 11. Semester, Sophia und Marleen im 10. Semester Medizin. Der Berufseinstieg steht also kurz bevor. Was die drei über die Medizin von morgen denken? Lest selbst!
Warum habt ihr euch dazu entschieden Medizin zu studieren?
Marvin: Ich habe mich entschieden, Medizin zu studieren, weil ich Menschen helfen wollte. Bereits meine Mutter und meine Tante sowie meine Cousine haben im Gesundheitswesen gearbeitet. Jeweils als Krankenschwester. Ich war von ihrer Arbeit immer sehr begeistert. Daher wusste ich, dass es für mich auch ins Gesundheitswesen gehen soll. Ich beschloss mit Mitte 20 mein Abitur nachzuholen und dann zeichnete sich sehr schnell ab, dass der Traum, Arzt zu werden, tatsächlich wahr werden kann.
Marleen: Tatsächlich wollte ich früher alles studieren außer Medizin. Warum? Beim Anblick von Blut und tiefen Wunden war mein Kreislauf alles andere als stabil. Eine wichtige Grundvoraussetzung erfüllte ich also nicht, dachte ich damals jedenfalls. Da konnten mein naturwissenschaftliches Interesse und der Wunsch nach einem sozialen Beruf noch so groß sein. Doch alle anderen Studiengänge, für die ich mich alternativ begeisterten konnte, erwiesen sich mit der Zeit als nicht geeignet. Meine Gedanken kehrten also immer wieder zur Medizin zurück. Und irgendwann war ich überzeugt: Der Mensch ist doch ein Gewohnheitstier. Wenn mein Kreislauf die einzige Hürde darstellt, warum nicht einfach versuchen? Mit der Zeit wird sich mein Körper dran gewöhnen. Und siehe da, fünf Jahre später bereue ich die Entscheidung keineswegs.
Sophia: Ich bin über meine sportlichen Interessen zum Medizin Studium (Anmerkung: Sophia ist begeisterte Triathletin) gekommen. Aus sportlicher Sicht hat mich schon immer fasziniert wozu der menschliche Körper im Stande ist und ich wollte gerne mehr über die Prozesse dahinter verstehen.

In welchem Bereich möchtet ihr später einmal arbeiten? Was fasziniert euch daran am meisten?
Marleen: Eine klare Antwort auf diese Frage kann ich noch nicht geben. Prinzipiell möchte ich einen Fachbereich wählen, in dem ich problemlos später ambulant arbeiten kann. Auch eine enge Arzt-Patientenbeziehung ist mir wichtig. Ein zweiwöchiges Praktikum beim Hausarzt hat mich sehr begeistert – eine mögliche Option für mich. Außerdem möchte ich mir noch die Erwachsenen- und Kinder-Jugend-Psychiatrie näher anschauen. Aber wer weiß, vielleicht wird es auch etwas ganz anderes.
Sophia: Um ehrlich zu sein wechseln meine Ideen, was ich in der Zukunft einmal machen möchte noch relativ regelmäßig. Ich könnte mir allerdings gut vorstellen meine medizinische Ausbildung mit meinem sportlichen Hintergrundwissen zu verknüpfen. Daran reizt mich besonders, dass die Sportmedizin meiner Meinung nach fächerübergreifende Relevanz hat und noch viele Fragen ungeklärt sind.
Marvin: Ich möchte später in der Radiologie arbeiten. Mich fasziniert am meisten, dass die Radiologie zwei große Leidenschaften von mir vereint: Computertechnologie und Medizin. Kein anderes Fach ist so nah am Zahn der Zeit und verändert sich mit technischen Entwicklungen, wie die Radiologie, wie man gerade auch am Einzug der künstlichen Intelligenz in die Radiologie sieht. Das finde ich sehr spannend. Ich denke auch, dass ich später eine eigene Praxis besitzen werde. Ich möchte in die Selbstständigkeit, da ich die betriebswirtschaftlichen Herausforderungen ebenfalls total spannend finde. Eine Arbeit in der Klinik kann ich mir über die Assistenzarztzeit nicht vorstellen.
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Viele Assistenzärzte sind unzufrieden und fühlen sich in der Klinik überfordert, z.B. aufgrund des Personalmangels oder mangelhaften Einarbeitung. Macht euch das Angst?
Sophia: Ich würde das Gefühl diesbezüglich nicht als Angst beschreiben. Jedoch bekommt man natürlich auch schon als Student das ein oder andere Mal die Folgen des stressigen Klinikalltages zu spüren. Auch für uns Studenten ist es nicht schön das Gefühl vermittelt zu bekommen nur eine weitere „Last“ zu sein, wodurch die Lehre häufig auf der Strecke bleibt und Fragen oftmals nicht geklärt werden können. Der Fehler hierfür liegt mit Sicherheit nicht bei den einzelnen Lehrpersonen, sondern ganz offenbar im System, womit einhergeht, dass diese Probleme mit zunehmender Verantwortung und steigendem Druck vermutlich nicht weniger werden. Ich persönlich sehe darin allerdings nur eine weitere Herausforderung, die das Medizinstudium mit sich bringt.
Marvin: Angst habe ich eher nicht. Ich kann mir schon sehr gut vorstellen, welchem Druck man aufgrund des Personalmangels und der hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt ist. Und ich kann mir auch schon gut vorstellen, wie das auf mich wirken wird. Ich denke, dass ich diese Probleme spätestens in der eigenen Praxis angehen kann. Zum Beispiel durch faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen für alle Mitarbeiter. Eben diese Sachen, die in der Klinik viel zu kurz kommen. Wenn ich vor etwas Angst habe, dann, dass mir die Arbeitsbedingungen in der Klinik den Spaß am Beruf nehmen werden.
Marleen: Angst habe ich nicht, aber mittlerweile bin ich ziemlich desillusioniert und ernüchtert. Da in meinem Familien- und Bekanntenkreis kaum Ärzt:innen tätig sind, bin ich ziemlich naiv in das Studium gestartet. Im Laufe der Semester wurde ich mit den realen Anforderungen an den Arztberuf konfrontiert und versuche nun die für mich richtigen Schlüsse daraus zu ziehen: An welcher Klinik fange ich bestenfalls an? Wie wähle ich mein PJ? Welcher Fachbereich könnte meinen Lebensvorstellungen entsprechen? Wäre das Ausland eine Option?

Welche Erwartungen habt ihr an euren zukünftigen Arbeitgeber?
Marvin: Ich habe viel Erfahrung in der freien Wirtschaft gesammelt. Dort habe ich Orientierungswochen kennengelernt mit 1:1 Betreuung, Bonuszahlungen für besonders erfolgreiche Projekte; Ich bin es gewohnt, zu allen Fragen, die die Arbeit betreffen, jemanden kontaktieren zu können, der sie mir beantwortet oder mir hilft. Ich bin flexible Arbeitszeiten gewohnt, das Arbeiten von remote und bezahlte Überstunden. Ich bin es auch gewohnt, dass meine Arbeit eine große Wertschätzung bei meinem Team und den Vorgesetzten erfährt. Wenn ich all diese Erwartungen an meinen Arbeitgeber in der Klinik haben würde, hätte ich ein sehr hartes Leben vor mir. Daher: Ich erwarte eigentlich nichts. Dafür kenne ich das Gesundheitssystem zu gut.
Marleen: In aller erster Linie wünsche ein freundliches, respektvolles Miteinander. Ich wünsche mir Strukturen, in denen erfahrene Ärzt:innen Berufseinsteiger hinreichend einarbeiten können, in denen flache Hierarchien herrschen und ein gesundes Maß an Arbeitszeit realisierbar ist. Ich wünsche mir außerdem, dass Familie und Beruf, egal ob als Mutter oder Vater unkompliziert vereinbar wird und genügend Zeit für den einzelnen Patienten besteht. Dass all‘ das nicht ausschließlich in der Hand des Arbeitgebers liegt, ist mir durchaus bewusst.
Sophia: Ich denke, dass es sowohl im Interesse des Arbeitgebers als auch des Arbeitnehmers sein sollte, dass die Menschen gerne zur Arbeit gehen und sich bei der Arbeit wohl fühlen. Meiner Meinung nach trägt das wesentlich dazu bei ob der Arbeitnehmer leistungsfähig ist und auch sein volles Potenzial entfalten kann. Insofern würde ich mir von meinem zukünftigen Arbeitgeber wünschen, ein kollegiales Miteinander und ein positives Arbeitsklima zu schaffen.
Als Vertreter der Generation Y, wie wichtig ist euch eine gute Work-Life-Balance?
Marleen: Um ehrlich zu sein, sehr wichtig. Ich möchte mich später voll und ganz für meine berufliche Entwicklung einsetzen und mich stetig weiterzuentwickeln. Das funktioniert meiner Meinung nach am besten, wenn ich ausreichend Ressourcen habe, die mir für diesen herausfordernden Weg Energie geben. Um diese Ressourcen (Freunde, Familie, Sport etc.) zu pflegen, brauche ich Zeit. Diese Zeit ist m.E. sehr sinnvoll investiert, da sie mich konzentrierter, energietisierter und motivierter auf meinem Arbeitsplatz erscheinen lässt.
Sophia: Auf Grund der Tatsache, dass der Sport bei mir einen so hohen Stellenwert im Leben einnimmt und ich auch nach meinem Studium nicht darauf verzichten möchte, ist mir eine gute Work-Life-Balance sehr wichtig.
Marvin: Eine gute Work-Life-Balance ist mir sehr wichtig. Ich kenne die Argumente der Baby-Boomer, die sagen, die heutige Generation sei zu verweichlicht, wolle nur Urlaub und meide Anstrengung. Das finde ich lächerlich. Die heutige Generation will einfach keine Ausbeutung und schätzt das Leben mehr als die Arbeit. Und das ist auch gut so.

Wie stellt ihr euch als Nachwuchsmediziner:in den Arbeitsalltag im Idealfall vor? Welche Veränderungen würdet ihr euch wünschen?
Sophia: Ich stelle mir den Arbeitsalltag im Idealfall sehr abwechslungsreich vor. Egal ob im Krankenhaus oder in einer Praxis, jeder Mensch ist unterschiedlich und kann einen vor neue Herausforderungen stellen. Damit einhergehend würde ich mir im Idealfall eine ganzheitlichere Medizin wünschen. Ich finde es wichtig, den Menschen in seiner Gesamtheit zu betrachten und somit interdisziplinär tätig werden zu können. Um dem gerecht werden zu können würde ich mir mehr Zeit für die einzelnen Patienten wünschen. Die gewonnene Zeit würde eventuell auch dazu beitragen sich mehr Gedanken zu den Ursachen für die Erkrankung zu machen und so eventuell auch präventiv tätig zu werden.
Marvin: Siehe oben. Ich würde mir wünschen, dass die Arbeit in der Klinik insgesamt weniger belastend ist und mit einem funktionierenden Privatleben vereinbar ist. Die Natur des Jobs ist belastend genug, da müssen die Arbeitsbedingungen einfach passen. Faire Arbeitszeiten, bezahlte Überstunden, gute Personalführung, Teambuilding und Weiterbildungen wären sinnvolle Maßnahmen.
Marleen: Ich würde mir von Herzen wünschen mehr Zeit für die einzelne Patient:in zu haben. Mir kommt es im Klinikalltag oft so vor, als ob wir klinische Fälle behandeln, für den Menschen und seine Geschichte hinter der Erkrankung aber überhaupt kein Platz ist. Stattdessen verbringen Ärz:innen Stunden am Bildschirm oder mit Papierkram. Außerdem würde ich mir wünschen, dass der Kostendruck nicht so sehr das ärztliche Handeln bestimmt, sondern einfach und allein die Gesundung im Vordergrund steht.
Noch eine Abschlussfrage: Wo seht ihr die Medizin in 10 Jahren?
Marvin: Ich hoffe, es wird sich einiges im Sinne der Arbeitnehmer und Arbeitsbedingungen ändern. Ich glaube aber auch, dass viele Strukturen noch lange konserviert werden, weil Leute an der Spitze sitzen, die wenig Interesse an Änderungen haben. Die Medizin könnte in den nächsten Jahren aber auf technischer Seite Sprünge machen. Arztbriefe werden von der KI geschrieben. Man könnte sich mehr auf Medizin als auf Dokumentation konzentrieren. Das wäre toll. Eine Negativentwicklung wird sein, dass sich insgesamt mehr Mediziner für eine Arbeit außerhalb der Klinik entscheiden werden.
Marleen: Von großer Bedeutung wird m.E. die Zentralisierung, die Digitalisierung und der Einsatz künstlicher Intelligenz im klinischen Alltag. Vielleicht eine sinnvolle Abhilfe bei den Bergen an Bürokratie? Durch ein verbessertes Krankheitsverständnis auf molekularer Ebene werden außerdem (hoffentlich!) immer mehr individuelle, gezielte Therapien von Erkrankungen möglich werden. Zusätzlich werden wir mit einem wachsenden Ärztemangel bei gleichzeitig alternder Bevölkerung konfrontiert. Eine qualifizierte Zuwanderung könnte eine sinnvolle Lösung sein, um einen passablen Arzt-Patienten-Schlüssel zu wahren. Abschließend würde ich mir wünschen, dass künftig vermehrt das Augenmerk auf Prävention (von Volkskrankheiten), statt lediglich deren Behandlung gelegt wird.
Sophia: Ich denke, dass sich auch in der Medizin die zunehmende Digitalisierung bemerkbar machen wird. Es wird vermutlich immer mehr Bereiche geben, in denen es sinnvoll sein wird künstliche Intelligenz einzusetzen. Beispielsweise könnte die künstliche Intelligenz das Auswerten von Bildmaterialien aus Kapselendoskopien deutlich beschleunigen. Vermutlich werden Ärzt*innen in Zukunft auch online über Videokonferenzen beratend tätig sein, wodurch der direkte Arzt – Patienten Kontakt zunächst einmal abnehmen wird. Ganz ersetzt werden kann dieser meiner Meinung nach allerdings nicht, weil die körperlichen Untersuchungen weiterhin wichtig sein werden.

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